Regiesseurin Barbara Miller über Aktivismus und Audience Development
Der mehrfach ausgezeichnete Dokumentarfilm #Female Pleasure porträtiert fünf Frauen rund um den Globus. Frauen, die gegen die patriarchale Unterdrückung der weiblichen Sexualität kämpfen. Der Regiesseurin Barbara Miller ist es mit dem Film gelungen, eine gesellschaftliche Debatte anzustossen und eine breite Zielgruppe mit dem Thema zu erreichen.
Zu Gast bei Cast erzählt Barbara Miller über den Film als aktivistisches Mittel und die Bedeutung eines gelungenen Audience Development am Beispiel #Female Pleasure.
Für deinen Film #Female Pleasure hast du intensives Audience Development betrieben. Was ist Audience Development und was habt ihr konkret gemacht?
Beim Audience Development geht es darum, möglichst viele Personen zu erreichen und eine Zuschauerschaft aufzubauen, die sich einerseits für den Film interessiert, aber andererseits auch selbst aktiv wird. Mit dem Film #Female Pleasure wollte ich eine gesellschaftliche Veränderung bewirken und je mehr Leute man erreicht und je mehr Leute sich angesprochen fühlen, umso mehr kann man verändern.
Bei dieser Audience haben wir intensiv mit Frauenrechtsgruppen und Aktivistinnen zusammengearbeitet, mit Leuten also, die sich auch sonst für das Thema interessieren. Wir haben sie zu Filmvorführungen eingeladen, damit sie den Film weitertragen können. Einerseits ist der Film ein Sprachrohr für die gezeigten Geschichten und andererseits werden die Menschen, die den Film weitertragen, zu einem Sprachrohr für den Film.
Ihr habt also in dem Sinn mit «Influencern» zusammenarbeitet und ihnen Inhalte in die Hand gegeben, den sie für ihre Community nutzen können?
Man kann es im weitesten Sinne so ausdrücken, ja. Für ein gutes Audience Development sind in einem ersten Schritt diese Leute wichtig, die sich bereits für das Thema interessieren. Mit ihrer Hilfe kann man mehr erreichen. Es ist, wie wenn man einen Stein ins Wasser wirft, wo sich dann Kreise ziehen, die immer grösser werden.
Social-Media war ein wichtiger Teil eurer Auswertungskampagne. Wie habt ihr Social Media genutzt, um mehr Leute mit dem Film zu erreichen?
Wir haben den Trailer und Ausschnitte des Filmes auf Facebook und Instagram gepostet. Was sich aber als relativ schwierig herausgestellt hat, weil die Inhalte teilweise zensiert wurden. Facebook hat den Inhalt als «pornographisch» eingestuft, ob wohl der Film, ganz im Gegenteil, sexistische Darstellungen von Frauen kritisiert. Der Verleiher in Deutschland hat dann interveniert und die Posts funktionierten eine Zeitlang wieder, bevor sie dann aber schliesslich wieder zensiert wurden. Je nach Thema ist es also recht schwierig via Social Media Erfolg zu haben.In der Schweiz gab es viele Promis, die ein Foto von sich mit erhobener Faust, das Symbol des Filmposters, mit einer persönlichen Aussage auf ihren Social-Media-Kanälen gepostet haben.
Wir hätten uns aber erhofft, dass es eine viel grössere Bewegung auf Social Media gibt, uns haben dafür aber auch die Mittel und das Wissen gefehlt, vor allem auch die nötige Zeit. Ich glaube aber, dass hier noch ein unglaubliches Potenzial liegen würde. Eines meiner Interviews auf dem französischen Onlinesender «Brut» hat zum Beispiel weit über eine Million Clicks erreicht. Wenn man zukünftige Generationen erreichen will, ist Social Media wahrscheinlich eines der wichtigsten Mittel.
Der Film #Female Pleasure hat ein aktivistisches Anliegen. Verstehst du dich eher als Filmemacherin oder als Aktivistin?
Meine Motivation, um Filme zu machen, ist es, mich für Gerechtigkeit einzusetzen. Das war auch mein Antrieb, um Rechtswissenschaften zu studieren. Nach dem Studium habe ich aber gemerkt, was es heisst in diesem Bereich zu arbeiten und dass es ganz oft eher um Geld als um Gerechtigkeit geht. Natürlich gibt es auch Ausnahmen, man denke an jemand wie Carla Del Ponte zum Beispiel.
Mit dem Medium Film aber habe ich die Möglichkeit, viele Menschen zu erreichen und eben auch mit einem Tabuthema gewisse gesellschaftliche Diskurse in Bewegung zu bringen. Allein in der Schweiz haben #Female Pleasure über 70'000 Menschen im Kino gesehen. 2018 war es der erfolgreichste Dokumentarfilm in der Schweiz und 2019 der erfolgreichste Schweizer Dokumentarfilm weltweit.
Welchen Tipp hast du für junge Leute im Medienbereich, die ihre Anliegen aktivistisch nach aussen tragen möchten?
Es ist wichtig, dass man fundiertes Wissen in dem Bereich mitbringt. Man muss so lange recherchieren und sich einlesen, bis man zu einer Spezialistin oder einem Spezialisten wird. Es braucht auch eine gewisse Offenheit, wenn du glaubst, dass deine Position die einzig Wahre ist, erreichst du vielleicht einen kleinen Kreis von Menschen, die gleich denken wie du. Wenn du aber auch die anderen erreichen willst, damit sie über das Thema nachdenken, musst du dich mit verschiedenen Positionen auseinandersetzen. Manchmal braucht es aber auch eine Provokation, um die Öffentlichkeit wachzurütteln und um auf Missstände aufmerksam zu machen.
Persönliches Engagement ist wichtig, man darf nicht aufgeben, wenn es Rückschläge gibt. Weil ich glaube, dass das auch zu dieser Tätigkeit gehört, dass man immer wieder gegen sehr viele Widerstände und Unvorhergesehenes kämpft muss, aber mit der Zeit lernt, damit umzugehen. Wenn man einen Fokus hat, dann lohnt sich es dafür zu kämpfen, im Dialog und mit ganz viel Wissen. Teamarbeit ist auch sehr wichtig. Man hat zumindest am Anfang, gerade wenn man frisch vom Studium kommt oft das Gefühl, dass man eine Einzelkämpferin oder ein Einzelkämpfer ist. Aber eigentlich funktioniert unsere Arbeit nur, wenn man mit vielen zusammenarbeitet und sich als Team versteht. Gemeinsam sind wir stark!